Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg / Theodor Dipper
Web Source
Extent and Medium
3,2 lfd. m
Scope and Content
Theodor Dipper und die Bekenntnisgemeinschaft
Dippers Leben und sein Wirken für die württembergische Landeskirche war wesentlich durch den Kirchenkampf im Dritten Reich bestimmt.
In einer Pfarrfamilie 1903 geboren, absolvierte Dipper die typisch württembergische Theologenausbildung mit Abitur am Evang.-theolog. Seminar Blaubeuren und Studium am Evang. Stift in Tübingen. Zu seinen wichtigsten Lehrern gehörten dort Adolf Schlatter und Karl Heim. Die erste Dienstprüfung legte Dipper 1925, die zweite 1929 ab. Nach dem Studium schloß sich der junge Dipper theologischen Arbeitskreisen an, die nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs vom Wort Gottes ausgehend eine Erneuerung der Kirche anstrebten. Zunehmend wichtig wurde die Beschäftigung mit der Theologie Karl Barths.
1930 schlossen sich die Arbeitskreise zur Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft zusammen. Diese verstand sich als Lehr- und Lerngemeinschaft sowie als Bruderschaft von Theologen. Im theologischen Denken geschult, geriet die KTA bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem Auftreten der Deutschen Christen in die geistige Auseinandersetzung mit dem Staat. Von Schrift und Bekenntnis ausgehend, wurde der Totalitätsanspruch des Staates und die Irrlehre der Deutschen Christen bekämpft. Ein wichtiger Schritt war die Stuttgarter KTA-Arbeitstagung im Juni 1933, die zu einer ersten Sammlung und Organisation des kirchlichen Widerstands in Württemberg führte. Dippers Referat auf dieser Tagung hieß "Gottes Ruf an die Kirche in dem heutigen völkischen Geschehen".
Die KTA ging 1934 in der württembergischen Bekenntnisgemeinschaft auf, die sich zu einer halbamtlichen Einrichtung der Landeskirche entwickelte. Nach eigenem Selbstverständnis sah sich die Bekenntnisgemeinschaft, der nicht nur Theologen, sondern auch Laien angehörten, als "Vortrupp einer württembergischen Bekenntnissynode" (Dipper, Evang. Bekenntnisgemeinschaft, S. 49). Sie galt als "Stimme der Bekennenden Kirche und ... das Gewissen der Kirchenleitung" in Württemberg (Schäfer, Dokumentation zum Kirchenkampf, Bd. 4, S. 657).
Die Bekenntnisgemeinschaft hatte eine minimale Organisation, die keine eingeschriebenen Mitglieder kannte. Für die Kirchenbezirke wurde jeweils ein Vertrauensmann benannt. Diese Vertrauensmänner vertraten in ihrem Bezirk die Anliegen der Bekennenden Kirche und bestellten den Landesbruderrat, das Sprach- und Leitungsorgan der Bekenntnisgemeinschaft. Der erste Landesbruderrat konstituierte sich auf einer Arbeitstagung im Sommer 1934 in Bad Boll. Neben Äußerungen zu aktuellen kirchlichen Fragen im Sinne der Theologischen Erklärung von Barmen sah der Bruderrat seine Aufgabe darin, ständig das vertrauensvolle Gespräch mit der Kirchenleitung und Kreisen des kirchlichen Widerstands zu führen, die Vertrauensleute in ihrer Arbeit vor Ort zu betreuen und die Verbindung zur Bekennenden Kirche im Reich zu gewährleisten. Das Wirken des Bruderrats fand Niederschlag in Gutachten, Denkschriften, Rundbriefen und Tagungen, teilweise auch in der kirchlichen Presse, wie z.B. im "Evang. Kirchenblatt für Württemberg". Dipper, Teilnehmer an allen Reichsbekenntnissynoden, wurde Ende 1934 zum Vorsitzenden des Landesbruderrates gewählt.
Bereits im Würtinger Pfarramt fiel Dipper als "politisierender Pfarrer" auf. Sein Widerstand gegen die Gleichschaltung der kirchlichen Jugendarbeit und sein Eintreten für den Bekenntnisgottesdienst lösten Beschwerden parteinaher Stellen beim Oberkirchenrat aus. 1935 wechselte Dipper aus dem Pfarrdienst zum Evang. Gemeindedienst, einer Institution, die volksmissionarische Aufgaben wahrzunehmen hatte. Als 2. Geschäftsführer dieser Einrichtung war er für Laienschulung und Männerarbeit zuständig. Einerseits begünstigte diese personelle Konstellation die Arbeit der Bekennenden Kirche vor Ort in den einzelnen Gemeinden, andererseits führte Dippers Vortragstätigkeit im Auftrag des Gemeindedienstes zu Konflikten mit staatlichen und parteiamtlichen Stellen. Die Geheime Staatspolizei ging gegen Dipper vor und verhängte über ihn ein Redeverbot. Hinzu kamen Hausdurchsuchungen beim Evang. Gemeindedienst, in dessen Räumen das Büro der Bekenntnisgemeinschaft untergebracht war. Auf ausdrücklichen Wunsch von Landesbischof Wurm kehrte Dipper 1938 ins Gemeindepfarramt zurück. Sein Dienst in Reichenbach/Fils wurde bereits Ende 1938 durch eine fast zwei Monate dauernde Haft, u.a. im Schutzlager Welzheim, unterbrochen. Anlaß der Verhaftung waren Vorgänge im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im April 1938 in Neckartailfingen. Als Seelsorger hatte sich Dipper hinter ein Gemeindeglied gestellt, dessen Wahlverhalten durch die NSDAP in aller Öffentlichkeit mit existenzbedrohenden Repressalien geahndet wurde.
Nach dem Untergang des Dritten Reiches stand Dipper mit seinen vielfältigen Erfahrungen aus dem Kirchenkampf sowohl seiner Landeskirche als auch der sich im Werden befindlichen Evangelischen Kirche in Deutschland mit Rat und Tat zur Seite. Zum Dekan ernannt - 1945 in Nürtingen, 1959 in Ludwigsburg -, wurde Dipper Mitglied der Synode der württembergischen Landeskirche und der Synode der Evang. Kirche in Deutschland. In diesen Funktionen sowie weiterhin als Vorsitzender des württembergischen Landesbruderrats und ab 1956 auch als Vorsitzender des Bruderrats der Evang. Kirche in Deutschland war er praktisch an allen Entscheidungen seiner Kirche beteiligt. Anläßlich seines 65. Geburtstages sollte Dipper 1968 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden. Noch aktiv im kirchlichen Dienst stehend, war es ihm verwehrt, diese Auszeichnung anzunehmen. Er starb ein Jahr später unerwartet auf einer Urlaubsreise in Italien.
Bestandsgeschichte
Der Bestand gelangte ca. 10 Jahre nach Dippers Tod an das LKA Stuttgart. Die Abgabe erfolgte im Januar 1979 mit einem Verzeichnis. Dennoch befand sich der Bestand in einem desolaten Zustand, nicht zuletzt wegen der Benutzung vor der Verzeichnung. Die Signaturen des Abgabeverzeichnisses wurden zwar erfaßt, erwiesen sich für eine sinnvolle Gliederung des Bestandes als untauglich. Lediglich die von Dipper vorgenommene Einteilung der Akten in die Zeit vor bzw. nach 1945 konnte weitgehend beibehalten werden. Einige wenige Aktenbunde wurden aufgelöst bzw. zusammengefaßt. Der in einem gesonderten Abgabeverzeichis aufgelistete Bestand an Büchern und Druckschriften wurde an die Bibliothek des OKR übergeben.
Ein geringer Teil des Bestandes wurde von Herrn Dr. Haag, der überwiegende Teil von Frau Springer in den Jahren 1992 bis 1994 verzeichnet. Mit 162 Nummern hat der Nachlaß D 31 ein Umfang von 3,2 lfd. m und befindet sich im Magazin des LKA Stuttgart.
Charakterisierung des Bestands
Der Bestand spiegelt einen Teil des Kirchenkampfes auf Landes- und Reichsebene wieder. Im Ringen um den richtigen Weg der württembergischen Landeskirche gab es zwischen Kirchenleitung und Bekenntnisgemeinschaft unterschiedliche Auffassungen. Während die Kirchenleitung den Status quo der alten Volkskirche und die landeskirchliche Ordnung mit formal-juristischen Mitteln aufrecht zu erhalten trachtete, strebte die Bekenntnisgemeinschaft gemäß der Barmer Erklärung hin zur Bekenntniskirche. Das Kernproblem bestand in der Frage nach der Verbindlichkeit der Theologischen Erklärung von Barmen und der Anerkennung der Organe der Bekennenden Kirche. Diese Frage stand bei allen Ereignissen und Entwicklungen im Zentrum, beispielsweise bei der Haltung zum Pfarrernotbund und zu den Bruderräten der sogenannten "zerstörten" Landeskirchen, bei der Bekämpfung der bekenntniswidrigen Irrlehre der Deutschen Christen und den Rechtsbrüchen der deutsch-christlich dominierten Reichskirche, bei den Befriedungsversuchen der staatlich eingesetzten Kirchenausschüsse etc. Unterschiedliche theologische Betrachtungsweisen über die Einheit von Lehre, Amt und Ordnung der Kirche existierten auch innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft. Nach der Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen kam es zum Auseinanderbrechen der Bekennenden Kirche in Deutschland. Während die "zerstörten" Landeskirchen die Vorläufige Kirchenleitung als Organ der Deutschen Evang. Kirche anerkannten, schlossen sich die "intakten" Landeskirchen zum Rat der Evang. Luth. Kirche Deutschlands zusammen. Im Gegensatz zur VKL erkannte der Lutherrat die vom Staat bestellten Kirchenausschüsse an und war teilweise sogar zur Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuß bereit. Der Beitritt Württembergs zum Lutherrat belastete die Bekenntnisgemeinschaft, wurde dieser Schritt doch als Schwächung der Bekennenden Kirche aufgefaßt. Entschiedene Barthianer, die sich aus der KTA heraus zur Kirchlich-Theologischen Sozietät zusammengeschlossen hatten, sprachen schließlich der Kirchenleitung das Recht der geistlichen Führung ab und drängten den Landesbruderrat zur Wahrnehmung des kirchlichen Notrechts, d.h. zur Übernahme und Ausübung kirchenleitender Funktionen. Dieses Ansinnen lehnte der Bruderrat, der sich trotz aller Differenzen stets der Autorität der Kirchenleitung untergeordnet hatte, ab. Dipper erläuterte die Haltung des Bruderrats in einer Handreichung mit dem Titel "Der Leib Christi. Zur innerkirchlichen Lage in Württemberg". Die Einführung des staatlichen Treuegelöbnisses für Pfarrer und Beamte in der Landeskirche führte 1938 zur Spaltung der Bekennenden Kirche Württembergs. Deren gemäßigte Vertreter, der Landesbruderrat, konnte trotz aller Bedenken dieses Gelöbnis akzeptieren, der radikale Flügel der Sozietät lehnte es ab. Die Sozietät stellte die Autorität der Kirchenleitung in Frage und verließ den Landesbruderrat. Im Zweiten Weltkrieg kam die Arbeit der Bekenntnisgemeinschaft fast zum Erliegen, da viele Pfarrer zur Wehrmacht eingezogen waren. Landesbischof Wurm hatte seine taktierende Haltung dem Staat gegenüber aufgegeben und begann 1941 unter Einbeziehung aller Kräfte der Bekennenden Kirche sein Kirchliches Einigungswerk, das nach 1945 als Evang. Kirche Deutschlands verwirklicht und vollendet wurde. In der Überzeugung, daß kirchliche Arbeit nicht nur von offiziellen Organen getragen werden kann, nahm die Bekenntnisgemeinschaft nach dem Zusammenbruch ihre theologische Arbeit wieder auf. Sie beschäftigte sich mit gesellschafts- und kirchenpolitischen relevanten Fragen Nachkriegsdeutschlands, wie z.B. der Wiederbewaffnung, atomarer Rüstung und Wehrdienstverweigerung. Nach Dippers Tod 1969 ging die Bekenntnisgemeinschaft unter der Bezeichnung "Evangelium und Kirche" als mittlere Gruppierung in der württembergischen Landessynode auf.
People
- Dipper, Theodor, Pfarrer, Dekan <Kirche>
Subjects
- Evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg