Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen
Web Source
Extent and Medium
Schriftgut
133 Aufbewahrungseinheiten
3,4 laufende Meter
Creator(s)
- Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen, 1956-1971
Scope and Content
Geschichte des Bestandsbildners
Das "Forschungszentrum für Selbstbestimmungsrecht und Nationalitätenpolitik" wurde am 1. Juli 1956 in Lüneburg in den Räumen der Ostdeutschen Akademie durch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen als nicht rechtsfähige Anstalt eingerichtet.
Personell bestand das Forschungszentrum aus dem Leiter, Dr. Günther Decker und einer Sekretärin. Dr. Günther Decker, der 1944 mit einer völkerrechtlichen Arbeit promoviert wurde, war nach dem Krieg als wissenschaftlicher Mitarbeiter verschiedener Universitätsinstitute, als Publizist und politischer Redakteur tätig gewesen. Forschungs- und Lehraufenthalte hatten ihn in den Nahen und Fernen Osten und in die USA geführt. In den Jahren 1955/56 verfertigte er zwei Gutachten für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen über die "Lösung des europäischen Nationalitätenproblems" und über das "Selbstbestimmungsrecht der Völker". Auf Grund dieser Gutachten entwickelte das Ministerium Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit mit Dr. Decker. Dieser forderte als Voraussetzung für die Fortführung seiner gutachterlichen Tätigkeit die Einrichtung eines Forschungsinstituts.
Die Aufgabe des Forschungszentrums bestand darin, im engen Zusammenwirken mit dem gesamtdeutschen Ministerium und dem Bund der Vertriebenen alternative Konzepte nationalitätenrechtlicher Selbstverwaltungsformen für den Fall der Rückkehr der deutschen Vertriebenen in die unter polnischer Verwaltung stehenden ehemaligen deutschen Ostgebiete zu erarbeiten, um so eine künftiges friedliches Zusammenleben mit den "slawischen Zuwanderern" zu ermöglichen. Hierzu sollten weltweit die Selbstbestimmungsbewegungen und Nationalitätenprobleme beobachtet und analysiert werden. Nach Dr. Deckers vorzeitigem Tod im Sommer 1958 übernahm ab Januar 1959 Dr. Heinz Kloss das Institut, der es unter dem Namen "Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen" fortführte. Dr. Heinz Kloss, von 1927 bis 1943 Mitarbeiter des Deutschen Auslandsinstituts in Stuttgart, von 1953 bis 1959 Amerikareferent und Leiter der Abteilung Schrifttumsdienst am Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, hatte sich vornehmlich durch Veröffentlichungen über deutsche Sprachgruppen im Ausland, zumal USA (Schulfragen und Schulrecht) einen Namen gemacht.Die Aufgabenstellung der Forschungsstelle erhielt unter der neuen Führung eine andere Gewichtung. Zwar betonte Dr. Kloss noch 1968, dass sich die Forschungsstelle "wissenschaftlich mit ethnopolitischen Fragen befasse, die sich aus der besonderen Situation des deutschen Volkes ergeben", aber sowohl das wissenschaftliche Interesse von Dr. Kloss als auch das sich ändernde politische Umfeld, insbesondere in der deutschen Ostpolitik im Verlaufe der sechziger Jahre, drängten die ursprüngliche Aufgabenstellung zunehmend in den Hintergrund. Nur noch die Verbindung zum Bund der Vertriebenen und die daraus entstehenden Denkschriften erinnern an die ursprüngliche Aufgabe des Forschungszentrums. Das Hauptinteresse von Dr. Kloss galt "Sprachenfragen", wie z. B. den sprachlichen Minderheiten und ihrer Diskriminierung, der sprachlichen Schutzarbeit und dem Sprachenrecht sowie den deutschen Sprachinseln im Ausland. Naturgemäß schwand bei dieser Akzentuierung des Aufgabenfeldes das Interesse des gesamtdeutschen Ministeriums, das die Forschungsstelle mit DM 60.000,-- (Ansatz für 1970) finanzierte. 1971 stellte Dr. Kloss rückblickend fest: "Die Förderung war immer eine bescheidene, das Interesse des Ministeriums erlahmte, und schon 1967 konnte die Absicht, die Forschungsstelle zu schließen, nur durch Vermittlung eines Bundestagsabgeordneten verhindert werden". Im nämlichen Jahr 1967 suchte Dr. Kloss vergeblich Geldgeber, um seine Forschungsstelle zu einem Forschungsinstitut ausbauen zu können, das sich ausschließlich "Fragen der Sprachenordnung und des Sprachenfriedens in allen Teilen der Welt" widmen sollte.
Seit 1964 weilte Dr. Kloss auf Einladung nordamerikanischer Stellen häufiger zu sprachsoziologischen Studien in den USA und Kanada.
Nach dem Regierungswechsel 1969 war die Schließung der Forschungsstelle absehbar und sie erfolgte 1971 durch das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Dr. Kloss schloss sich im Einvernehmen mit dem Ministerium dem Institut für deutsche Sprache in Mannheim an, an dem 1971-1980 eine "Arbeitsstelle für Mehrsprachigkeit" bestand. Die Forschungsstelle war 1959 von Lüneburg nach Kiel umgezogen und hatte ab 1964 in Marburg domiziliert. Ihre Mitarbeiterzahl blieb gering und bestand in der Regel aus dem Leiter, einem wissenschaftlichen Assistenten und einer Sekretärin. Mit der Arbeitsstelle von Dr. Dr. Kurt Rabl, Bingen, bestand eine enge Verbindung.Die Hauptleistung gegenüber der Öffentlichkeit war die interne Serie: "Denkschriften und Berichte der Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen", die in unregelmäßigen Abständen in den Jahren 1959-1970 erschien, sowie die Schriftenreihe "ETHNOS".
Bestandsbeschreibung
Bestandsgeschichte
Nach der Auflösung der Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen 1971 in Marburg gingen die Akten und die Bibliothek in den Besitz des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim über. 1980/81 wurden die Akten auf Veranlassung von Dr. Kloss an das Bundesarchiv abgegeben.
Archivische Bewertung und Bearbeitung
Kassiert wurden unstrukturierte Materialsammlungen zur Vorbereitung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Dr. Decker, Verlagskorrespondenz über Manuskripte sowie Unterlagen zur Dienststellenverwaltung. Ferner wurden zahlreiche Doppelstücke von einzelnen Denkschriften und Gutachten ausgesondert. Die zerstreut abgelegten "Denkschriften und Berichte der Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen" wurden zusammengezogen und zu einer chronologischen Serie formiert. Akten über das Forschungszentrum bzw. die Forschungsstelle in der Überlieferung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen liegen u. a. in den Bänden B 137/2341, 2344, 2346-2350 vor.
Inhaltliche Charakterisierung
Die Akten setzen sich thematisch aus den Bereichen des Forschungszentrums für Selbstbestimmungsrecht und Nationalitätenpolitik mit Korrespondenzen und Arbeitsberichten, wissenschaftliche Tätigkeiten und Materialsammlungen von Dr. Decker (ab 1945, 1956-1958), der Überlieferung der Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen sowie mit Korrespondenzen, wissenschaftlichen Tätigkeiten, Mitarbeit in Ausschüssen von Dr. Kloss sowie Akten zur Dienststellenverwaltung (1959-1973) zusammen.
Der Bestand enthält Schrift- und Druckgut unterschiedlichster Art. Kern der Überlieferung bilden Korrespondenten-Serienakten, die nach den Anfangsbuchstaben der Partner geordnet sind und eine Laufzeit von etwa 3 bis 4 Jahren aufweisen. Die Serien 1962-1965 und 1966-1968 sind nicht vollständig, einzelne Buchstabengruppen fehlen. Neben Korrespondenten-Serienakten sind bei umfangreichem Schriftwechsel mit einem Partner Einzelkorrespondentenakten gebildet worden. Sachakten sind kaum vorhanden. Den zweiten bedeutenden Teil der Überlieferung nehmen Sammlungen von Druckgut (Denkschriften, Gutachten), wissenschaftliche Manuskripte, Materialien zur Vorbereitung von Veröffentlichungen u. ä. ein. Viele der Materialien und Manuskripte Dr. Deckers datieren allerdings aus der Zeit vor Errichtung des Forschungszentrums, nämlich ab 1947.
Vorarchivische Ordnung
Der Bestand, dem - abgesehen vom Korrespondentenaktenprinzip - keine erkennbare Registraturordnung zugrunde lag, wurde analog der zeitlichen Aufeinanderfolge von Forschungszentrum für Selbstbestimmungsrecht und Nationalitätenfragen und Forschungsstelle für Nationalitäten- und Sprachenfragen gegliedert, da der Übergang des Instituts von Dr. Decker auf Dr. Kloss eine deutliche Zäsur im Akteninhalt zeigt.
Zitierweise
BArch B 241/...