Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin
Scope and Content
Vorwort
A Rep. 234-04 Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin
1. Behördengeschichte
Im März 1938 war die Landesleitung Berlin der Reichskammer der bildenden Künste zuständig für 9269 in Berlin wohnende Mitglieder, die in einzelnen Fachgruppen organisiert waren: Architekten, Raumgestalter, Bildhauer, Maler und Graphiker, Gebrauchsgraphiker, Entwerfer sowie Kunsthändler und –verleger. Aber Mitglied dieser Kammer waren keinesfalls alle derartigen Kunstschaffenden, im Gegenteil: Die Mitgliedschaft in der Kammer bzw. ihr Ausschluss war das zentrale Instrument der nationalsozialistischen Steuerung des Kunst- und Kulturbetriebs, und einem namhaften Teil der deutschen Kunstschaffenden wurde die Kammermitgliedschaft verweigert. So waren allein 326 von 1016 Kunsthändlern und –verlegern „Abgelehnte bzw. Ausgeschlossene, die ständig überwacht werden“.
Mitglieder konnten ausstellen, von ihnen konnten Ankäufe durchgeführt werden, sie bekamen bei Bedarf Kuren… Die Entscheidung oder Befürwortung derartiger Maßnahmen war Sache der Reichskammer für bildende Künste.
Eine andere Aufgabe der Reichskammer war die Genehmigung von Auktionen. Angesichts des gewaltigen Umschlags bei Kunstwerken, der in den Jahren ab 1935 in Deutschland zunehmend stattfand, hat dieser vom Unterlagenumfang eher bescheidene Teil der Aufgabe der Reichskammer für bildende Künste – Landesleitung Berlin das besondere Interesse der Forschung gefunden.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen mußten Versteigerungshäuser ihre Versteigerungen jeweils bei der Reichskulturkammer anmelden. Diese Anträge enthielten namentlich gekennzeichnete Versteigerungsaufträge, zu denen jeweils eine Aufstellung der angebotenen Gegenstände gehörte. Die Versteigerer mußten auch kennzeichnen, wenn es sich um ‚nichtarischen Besitz‘ handelte. Die Reichskulturkammer prüfte die Person des Versteigerers und die angebotenen Stücke auf die Erfüllung der gesetzlichen Grundlage - ob die Versteigerer die Zulassung zur Kulturgutversteigerung hatten, ob angebotene Güter ersteigert werden durften etc. - und meldete dann der jeweiligen Landesleitung der Reichskammer für bildende Künste und dem jeweils zuständigen Polizeipräsidenten, ob Einwände bestünden oder nicht. Beanstandete Stücke durften nicht versteigert werden. Über die stattgefundenen Versteigerungen mußten Protokolle (mit Verkaufspreisen und Nennung der Käufer) angefertigt werden, die denselben Genehmigungsweg gingen. Die Genehmigungen betreffen Nachlassversteigerungen vor Ort wie auch Sammelversteigerungen in den Auktionshäusern und umfassten sowohl ‚arischen‘ als auch "nichtarischen" Besitz.
2. Bestandsgeschichte
2.1. Entwicklung bis 1997
Direkt nach Kriegsende waren die Unterlagen der Reichskulturkammer in Berlin aufgefunden und dann in das Berlin Document Center in Berlin-Zehlendorf übernommen worden. Darunter befand sich auch die Überlieferung der Berliner Landesleitung, soweit sie noch erhalten war – im Umfang von ca. 11.000 AE. In den folgenden Jahrzehnten wurden hiervon zwei kleine Teile abgegeben.
Ende der fünfziger Jahre – der Termin ist nicht genau ermittelbar, vermutlich im Zusammenhang mit der Umsetzung des 1957 erlassenen Bundesrückerstattungsgesetzes – erhielt die Oberfinanzdirektion Berlin (OFD) eine Reihe von Akten zu Berliner Auktionshäusern betreffend Kunst- und andere Auktionen.
Diese Serie wurde ist dort eingehend bearbeitet worden: Versteigerungsaufträge von Juden bzw. als "Juden" Verfolgten wurden heraussortiert und alphabetisch geordnet, vermutlich, um Personen bzw. deren Besitz schneller ermitteln zu können. Zu den derart zusammengestellten "jüdischen" Aufträgen ist auch eine eigene Findkartei erstellt worden, mit Namen der Auftraggeber, Auktionsterminen und den dazugehörigen Auftragsnummern.
Unterlagen, die sich bei diesem Verfahren nicht namentlich zuordnen ließen – Auktionsgenehmigungen, Sammellisten, Versteigerungsprotokolle von Sammelversteigerungen – wurden nicht umsortiert. Sie wurden teils in Ordnern gesammelt (nach Auktionshäusern), aber zumeist ungeordnet abgelegt.
Vermutlich sind auch Unterlagen verloren gegangen, denn beide Reihen sind unvollständig, d. h., nicht zu jeder Versteigerung eines Auktionshauses finden sich in der alphabetischen Reihe auch die Aufträge sämtlicher Auftraggeber; andererseits kann ein Auftrag vorhanden sein, zu dem gar keine Versteigerung überliefert ist. Der Eingriff in die Unterlagen hat die Originalakten so zerstört, dass ihr ursprünglicher Aufbau nicht mehr zu erkennen ist: Ob diese Originalakten der Kammer seinerzeit also nach Auktionshäusern oder vielleicht nur chronologisch geordnet waren, ist nicht zu klären.
Im Frühjahr 1989 gab die Oberfinanzdirektion diese Unterlagen im Rahmen einer größeren Ablieferung an das Landesarchiv Berlin als Zugang Nr. 3924 ab. Sie kamen zum Bestand "Rep. 92 Oberfinanzdirektion Berlin" und wurden dort auch erschlossen. Die alphabetische Auftragsserie erhielt die Nummern 703 – 728, wogegen der unsortierte Teil unerschlossen blieb.
Zwanzig Jahre vorher – 1969 – war vom Bundesarchiv eine von den Alliierten abgegebene Aktenserie der Reichskulturkammer – insgesamt 67 AE - an das Landesarchiv Berlin abgegeben worden. Diese war mit anderen Akten als neuer Bestand formiert worden, mit der Bezeichnung "Rep. 243 Landeskulturwalter Gau Berlin / Berliner Körperschaften aus dem Geschäftsbereich des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda". Er beinhaltete vor allem Einzelsachakten der Reichsschrifttumskammer; von der Landesleitung für bildende Künste stammten nur sechs Akten.
2.2. Bestandsbildung 1999 und Tiefenerschließung
Als Folge der Wiedervereinigung und des Zusammenschlusses von Landesarchiv Berlin und Stadtarchiv Berlin wurde eine neue Tektonik der Bestände erforderlich. Davon war auch die Repositur 243 betroffen. Im Zuge der Bildung der Beständegruppe A Rep. 243 wurde der Unterbestand A Rep. 243-04 formiert, in den nun auch der Überlieferungsteil aus dem Bestand Oberfinanzdirektion eingearbeitet werden sollte.
Dazu wurden vor allem die von der OFD seinerzeit nicht bearbeiteten Unterlagen - die sogenannte Serie der "Auktionsgenehmigungen" - blattweise sortiert und dann erschlossen. Diese Unterlagen betreffen insgesamt 18 Berliner Versteigerungshäuser in den Jahren 1935 bis 1943. Geordnet wurden sie nach Auktionshäusern und dann jeweils chronologisch nach dem Datum der Versteigerung, in der Abfolge: Genehmigung der RKK und sonstiger Schriftwechsel zu der Auktion, Versteigerungsantrag, Auftragsvordrucke der Verkäufer, Versteigerungsprotokoll mit Listen der versteigerten Stücke. Diese Ordnung ließ sich nicht strikt durchhalten, da wegen des weitgehend formalisierten Genehmigungsverfahrens Genehmigungen "gebündelt" ergingen und so teilweise auch noch nach dem Termin der Versteigerung erteilt wurden. Dazu kam die Praxis, daß Versteigerer "liegengebliebene" Stücke eines Auftrags natürlich auch noch in späteren Auktionen erneut anboten, ohne diese erneut zu beantragen.
Ebenfalls in diesen Bestand eingegangen ist die Nummer 24 der alten Repositur 243; die aufgeteilt und in die "Versteigererserie" eingearbeitet wurde (zu den Auktionshäusern Harms, Graupe und zu Mandelbaum & Kronthal).
Bei der OFD-Serie der Versteigerungsanträge wurde dagegen von einem - im übrigen sehr aufwendigen - Rücksortieren nach Auktionen abgesehen, da die vorliegende Ordnung den Suchzweck nach Namen erfüllt und in ihr zudem die Herangehensweise der OFD dokumentiert ist. Diese Nummern sind auch bereits intensiv genutzt und zitiert worden. Diese Einheiten wurden also in ihrer Ordnung belassen; lediglich die Nummern 723 – 728 wurden aufgelöst bzw. auf die entsprechenden Auktionshäuser verteilt.
Der Bestand A Rep. 243-04 umfasste nach dieser Bearbeitung 71 Nummern.
In dieser Bearbeitungsform wurden die Unterlagen 2003 und 2004 sicherungsverfilmt.
Der Bestand wurde 2002 bis 2004 von Frau Dr. Heike Schroll vertieft erschlossen. Dabei wurden Aktentitel und Datierungen überarbeitet; einige Sammelakten wurden aufgelöst und neue Akten mit eindeutigen Betreffen gebildet. Bis dahin nicht zuweisbare Einzelblätter konnten den jeweiligen Betreffen zugeordnet werden. Die Überlieferung umfasste danach 77 Archivalieneinheiten.
Erstellt wurde auch ein umfangreiches Register, das u. a. sämtliche Namen der Auftraggeber mit allen Fundstellen erfasst. Damit ist es möglich, die Versteigerung von Gegenständen über mehrere Auktionen hinweg zu verfolgen, wenn diese beim ersten Termin nicht versteigert werden konnten und bei Folgeterminen weiter angeboten wurden. Derartige Angaben sind aus den Auftragsformularen nicht zu ersehen und wurden von der Kammer auch nicht nachgetragen.
2.3. Bestandserweiterung mit BDC-Akten 2004
Im Jahr 2004 gab das Bundesarchiv aus den Beständen des Berlin Document Center insgesamt über 11.240 AE an das Landesarchiv Berlin ab, die sämtlich zur Provenienz Landeskulturwalter Berlin gehörten; in der Hauptsache handelt es sich um eine Serie von Personenakten der Kammer der bildenden Künste (10.538 Nummern).
Beim BDC waren diese Personenakten, die in der Regel nur wenige Seiten, meist Durchschlagpapier, enthielten, aus den Schnellhefterumschlägen der RKK ausgeheftet und lose in die Deckel eingelegt worden. Jede Akte erhielt die 10stellige "File number" des BDC, die sich aus einem vierstelligen Code für die Provenienz – hier 2400 für die Reichskulturkammer –, einer bis zu vierstelligen Kartonnummer und einer zweistelligen Aktennummer zusammensetzt.
Verpackt waren diese Mappen in Frontklappenkartons, in die jeweils 26 "files" gelegt waren. Die Kartons waren meist nicht voll.
Aus Gründen der Unterlagensicherung, der Signaturenanpassung und der ökonomischen Lagerung mussten die Unterlagen im Landesarchiv neu bearbeitet werden. In über zweijähriger Arbeit haben Herrn Alfred Beude und später Herr Felix Behrens die losen Seiten zwischen alterungsbeständige Archivdeckel eingeheftet, neu signiert und neu kartoniert. Dabei wurden immer 10 Akten bzw. 10 Signaturen zu einer Bindeeinheit zusammengefasst.
Von Herrn Behrens wurde die vom Bundesarchiv mit übergebene BASYS-Datei mit den Personendaten nach den Standards des LA überarbeitet und die neuen Signaturen nachgetragen, so dass sie schließlich in die Datenbank des Landesarchivs importiert werden konnten.
Die wenigen allgemeinen Sachakten der Kammer, die in der Abgabe auch enthalten waren, wurden vom Bearbeiter in Augias neu erschlossen.
Nach dieser Bearbeitung umfasst der Bestand nunmehr 10644 Archivalieneinheiten. [nicht richtig]
Die Akte Nr. 71 beinhaltete die Kartei A-Z der Auftraggeber zu den Versteigerungen (angelegt von der Oberfinanzdirektion Berlin, vermutlich nach 1957) und wurde 2004 von der Firma Neshen restauratorisch behandelt. Die Karteikarten wurden alphabetisch sortiert, neu signiert und digitalisiert (neu Nr. 10214 - 10237). Diese Digitalisate wurden 2021 der Datenbank hinzugefügt.
3. Korrespondierende Bestände
Bundesarchiv R 56 - Reichskulturkammer und ihre Einzelkammern. Siehe das gedruckte Findbuch: Bestand R 56. Reichskulturkammer und ihre Einzelkammern Bearbeitet von Wolfram Werner. Koblenz 1987. (Findbücher zu Beständen des Bun-desarchivs. Bd. 31)
4. Literatur- und Quellenverzeichnis
Heuß, Anja, Die Reichskulturkammer und die Steuerung des Kunsthandels im Dritten Reich, in: Sediment 3 (1998), S.49-61;
Faustmann, Uwe: Die Reichskulturkammer, 1995;
Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates. Die Überlieferung von Behörden u. Einrichtungen d. Reichs, d. Länder u. d. NSDAP; Teil 1 Reichszentralbehörden, regionale Behörden u. wissenschaftliche Hochschulen für die zehn westdeutschen Länder sowie Berlin. Bearb. von Heinz Boberach [u.a.] München [usw.] 1991, insbes. S. 313-314.
Graf, Hans-Jörg: Rückgabe von Vermögenswerten an Verfolgte des national-sozialistischen Regimes im Beitrittsgebiet. Eine Untersuchung zur entsprechenden Anwendung westalliierten Rückerstattungsrechts im Beitrittsgebiet aufgrund rechtsvergleichender Ergebnisse zwischen dem US-Rückerstattungsgesetz und dem Vermögensgesetz (Berliner Juristische Universitätsschriften, 12); Berlin 1999;
Kathmann, Dorothea: Wege und Schicksale jüdischer Kunstsammlungen aufgezeigt am Beispiel der Sammlung Silberberg aus Breslau. Der Versuch einer späten Wiedergutmachung, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 1998, S. 165-177;
Wilhelm, Karl: Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Kunstauktionswesen in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis 1945 (tuduv-Studien. Reihe Politikwissenschaften, 34); München 1990;
Haase, Günther: Die Kunstsammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring. Eine Dokumentation mit Faksimiles sowie einem Dokumentenanhang; Berlin 2000;
Beiträge öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischem Besitz, bearbeitet von Ulf Häder (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Band 1); Magdeburg: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 2001.
5. Benutzungshinweis
Der Bestand umfasst 10241 Verzeichnungseinheiten mit der Laufzeit 1933 - 1945, 1958. Er beinhaltet Akten der Landesleitung Berlin (6 VE), Akten zur Aufsicht über Auktionshäuser und Versteigerer (49 AE), die Versteiegrungsaufträge (21 VE), Akten zur Aufsicht über Kunstvereine (5 VE), Akten zur genehmigung von Ausstellungen (24 VE). Die Aktengruppe betr. Personenakten von Mitgliedern bildet mit den 10108 Akten die umfangreichste Überlieferung. Die Kartei A-Z der Auftraggeber zu den Versteigerungen rundet den Bestand ab.
Einige Akten sind auf Grund archivgesetzlicher Bestimmungen bzw. der EU-Datenschutz-Grundverordnung für die Benutzung befristet gesperrt. Eine Verkürzung der Schutzfristen kann auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs.
Der Bestand ist vollständig verfilmt. Die Benutzung erfolgt ausschließlich über Film, und zwar bei den Personenakten über 16mm-Film und bei den übrigen Akten über 35mm-Film aufgenommen. Bitte beachten Sie dazu die angegebenen Filmnummern.
Da ein Teil der Auktionsüberlieferung nur in Abschriften oder als Durchschlagkopie dokumentiert ist, fehlen die eigenhändigen Unterschriften der Auftraggeber. Die Schreibweise der Namen folgt daher der Form in diesen Dokumenten; für die Korrektheit kann nicht garantiert werden. Deswegen sollten ebenfalls lautgleiche oder –ähnliche Namen überprüft werden.
2004 wurden aus den Versteigerungsunterlagen Daten für die Homepage ‚www.lostart.de’ der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Magdeburg, erhoben; sie können auch dort benutzt werden.
Der Bestand wird wie folgt zitiert: Landesarchiv Berlin, Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin A Rep. 234-04 Nr. … .
Berlin, März 2006 / November 2022 Dr. Martin Luchterhandt / kerstin Bötticher