M. Kempinski & Co. Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH
Scope and Content
Vorwort
A Rep. 225-02 M. Kempinski & Co. Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH
1. Unternehmensgeschichte
Nach Ausscheiden aus der mit seinem Bruder Moritz Kempinski geführten Breslauer Weinhandlung M. Kempinski & Co. gründete der jüdische Unternehmer Berthold Kempinski Mitte der 1870er Jahre in der Berliner Friedrichstraße eine Weinhandlung gleichen Namens. Ihr war eine Weinstube angeschlossen, in der zunächst einfachere Gerichte, später auch Delikatessen gereicht wurden. Als die Räumlichkeiten zu klein geworden waren, verlegte Kempinski seinen Betrieb 1889 in die Leipziger Straße, wo er seinen Weinhandel im Laufe der Zeit um ein großes Weinrestaurant und einen Feinkostladen erweiterte.
Das Unternehmen, das seit 1900 als OHG M. Kempinski & Co. firmierte, expandierte in den Folgejahren unter Kempinskis Schwiegersohn Richard Unger weiter. So wurde 1918 im Hinblick auf den sich verlagernden Fremdenverkehr ein Grundstück am Kurfürstendamm erworben, auf dem 1926 ein Restaurant und ein neues Feinkostgeschäft eröffnet wurden. Zum Flaggschiff der Firma sollte allerdings das populäre Haus Vaterland am Potsdamer Platz werden, das Kempinski seit 1928 bewirtschaftete. Das Gebäude mit dem markanten runden Kopfbau bot einem Massenpublikum in zehn thematisch gegliederten Restaurantsälen aufwändige Erlebnisgastronomie. Hinzu traten 1932 das an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gelegene Café Trumpf sowie Schloss Marquardt am Schlänitzsee nahe Potsdam, das Kempinski als sein einziges Hotel führte.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und deren judenfeindlicher Politik geriet das wirtschaftlich gesunde Unternehmen zunehmend unter Druck. Daher sah sich die jüdische Eigentümerfamilie schließlich zur Aufgabe gezwungen. Sie verpachtete 1937 ihre Betriebe an die "M. Kempinski & Co. Weinhandel und Handelsgesellschaft mbH", eine für die "Arisierung" kurz zuvor von der Aschinger's Aktien-Gesellschaft gegründete Tochtergesellschaft, die fortan die Geschäfte in Sachen Kempinski führte. Seit November 1941 firmierte diese als "F. W. Borchardt Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH", ehe ihr Name 1943 in "F. W. Borchardt GmbH" verkürzt wurde.
Nach dem Krieg gelang es den überlebenden Firmeneigentümern nicht, ihre zum Großteil kriegszerstörten Betriebe zurückzuerhalten. Dieses wurde von Aschinger unter Verweis auf den Pachtvertrag von 1937 abgelehnt. Ebenso wenig erfolgte eine Rückgabe der in Berlin (Ost) gelegenen Betriebsteile, nachdem sie in Gestalt der F. W. Borchardt GmbH 1947 zunächst beschlagnahmt und 1949 zusammen mit der Aschinger's Aktien-Gesellschaft enteignet worden waren.
Eine Rückkehr ins Geschäftsleben gelang den Alteigentümern erst mit der Gründung der M. Kempinski & Co. GmbH, die von 1950 bis 1952 das Kempinski-Hotel am Kurfürstendamm errichten und von Aschinger betreiben ließ. Im Jahre 1953 wurde sie von der Hotelbetriebs-AG aufgekauft, die sich 1970 in "Kempinski Hotelbetriebs-AG" und 1977 in "Kempinski AG" umbenannte.
2. Bestandsgeschichte
Die Unterlagen, die in den fünf Beständen der Bestandsgruppe Aschinger-Konzern zusammengefasst sind, gelangten im Jahre 1973 (Acc. 468/73) und 1979 (Acc. 603/79) ins Stadtarchiv Berlin, das wiederum 1991 mit dem West-Berliner Landesarchiv zum Landesarchiv Berlin fusionierte.
Abgegeben wurden sie vom VEB Backwaren-Kombinat Berlin, der als Nachfolger der Aschinger’s Aktien-Gesellschaft seinen Sitz in deren früherer Zentralverwaltung in der Saarbrücker Straße 34/38 hatte. Im Stadtarchiv und dann im Landesarchiv wurden die Papiere ohne Rücksicht auf ihre Provenienz einheitlich als Bestand A Rep. 225 Aschinger’s Aktien-Gesellschaft geführt. Bis zur hier vorliegenden Neuerschließung existierte eine grobe Verzeichnung des Bestandes auf Karteikarten. Diese genügte allerdings weder den heutigen archivischen Ansprüchen noch wurde sie in ihrer Oberflächlichkeit und teilweisen Parteilichkeit der außerordentlichen Vielfalt der Unterlagen gerecht. Außerdem ließ sie 85 Archivguteinheiten unberücksichtigt und blieb somit unvollständig.
A. Bestandstrennung
Die in den Jahren 2002 / 2003 erfolgte Neu- bzw. Erstverzeichnung, die mit einer Umbettung der häufig in Schnellheftern abgelegten Papiere in säurearme Materialien einherging, erbrachte nicht nur einen tieferen Erschließungsgrad, der dem wachsenden Interesse an Kultur- und Wirtschaftsgeschichte entgegenkommen soll. Sie ermöglichte auch, die Unterlagen entsprechend ihrer tatsächlichen Herkunft zu trennen und nach dem Provenienzprinzip zu eigenen Beständen zu formieren. Auf diese Weise wird der eigenständige Rechtscharakter der einzelnen Unternehmen betont. Andererseits zeigt ihre Einordnung als Unterbestände der Bestandsgruppe A Rep. 225 die enge Bindung der Tochterunternehmen an die Muttergesellschaft. Entsprechen die Bestände A Rep. 225-01 Hotelbetriebs-AG, A Rep. 225-03 „Geka“ Geschäfts- und Kontorhaus AG und A Rep. 225-04 J.G. Kranzler Schokoladen- und Konfitüren-Fabrik GmbH dabei in ihrer archivischen Bezeichnung auch dem tatsächlichen, zuletzt verwandten Firmennamen, so verhält es sich mit der
Bezeichnung des Bestandes A Rep. 225-02 anders. Hier wurde nicht der letztgültige, aus politischen Gründen geführte Name F.W. Borchardt gewählt. Es erschien in keiner Weise gerechtfertigt, aus archivischen Prinzipien an der Auslöschung eines jüdischen Namens festzuhalten und so zu vollenden, was der Nationalsozialismus aus ideologischen Gründen erstrebt hatte. Stattdessen wurde in der Bestandsbezeichnung bewusst der Name M. Kempinski & Co. wieder aufgenommen, allerdings in Form der Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH, um so zugleich die seit 1937 bestehende Zugehörigkeit zu Aschinger ausreichend zu berücksichtigen.
Neben den fünf Beständen wurden Archivalien überdies dem Bestand C Rep. 751-01 zugeordnet, der den in Berlin (Ost) ansässigen Nachfolgebetrieb der Aschinger’s Aktien-Gesellschaft, den VEB „Aktivist“, bezeichnet. Stichdatum für die Trennung bildete die Enteignung der Aschinger’s Aktien-Gesellschaft am 8. Februar 1949.
Generell ließen sich die Provenienzen eindeutig scheiden. Gleichwohl war in Einzelfällen eine Zuordnung von Akten zu den entsprechenden Beständen problematisch. In solchen Fällen wurden die Unterlagen in der Regel dem Bestand der darin behandelten Firma zugewiesen. Beispielhaft hierfür sind Wirtschaftschaftsprüfungsberichte von Tochterunternehmen, die, wie zahlreiche Bericht erstattende Papiere auch, bei der Aschinger’s Aktien-Gesellschaft abgelegt worden oder aber, wie bei der Verzeichnung vorausgesetzt, bei dem jeweils geprüften Betrieb angefallen sein könnten. Wirtschaftsprüfungsberichte sind ferner ein Beispiel für jene Unterlagen, die in mehrfacher Ausfertigung vorlagen und somit eine Kassation erlaubten.
Um in allen Beständen einheitliche Nummernfolgen zu erreichen und zudem seinerzeit vergebene Unternummern aufzulösen, die datentechnisch schwer zu verarbeiten sind, wurden die Archivalien jedes Bestandes beginnend mit „1“ fortlaufend neu durchgezählt. Diese Maßnahme erschien auch vor dem Hintergrund vertretbar, dass der bisherige Einheitsbestand A Rep. 225 Aschinger’s Aktien-Gesellschaft nur von einem kleinen Benutzerkreis eingesehen worden ist und in einer noch geringeren Anzahl von Publikationen zitiert wird.
B. Klassifikation
Da trotz vereinzelter Aktenzeichen eine durchgehende Aktenordnung in keinem Bestand zu erkennen war und Aktenpläne fehlten, wurden in allen Fällen neue Klassifikationen erarbeitet. Sie lehnte sich für den Bestand A Rep. 225 Aschinger’s Aktien-Gesellschaft an den Organisationsplan vom 6. November 1936 an, der in seiner starken Differenzierung der Arbeitsbereiche eine ebenso differenzierte und damit transparente Zuordnung des Schriftgutes zu einzelnen Klassifikationspunkten zuließ.
Eine der bedeutendsten Abteilungen stellte dabei das Juristische Büro dar. Wie aus den Akten selbst ersichtlich, war es nicht nur mit Rechtsfragen befasst. Zu seinem Aufgabenbereich zählten ebenso die Verwaltung und Finanzierung der unzähligen Häuser und Grundstücke. Außerdem behandelte es Obligationsangelegenheiten. Da eine eigenständige Finanzabteilung bei Aschinger offensichtlich fehlte, wurden dem Juristischen Büro bei der Neuverzeichnung daher auch weitere die Finanzen betreffende Akten zugeordnet. Pressemitteilungen und Zeitungsausschnitte wurden der Werbeabteilung zugewiesen.
Zu einem gesonderten Klassifikationspunkt wurden die Berichte und Unterlagen der Tochtergesellschaften zusammengefasst, für deren Behandlung anscheinend die Direktion selbst verantwortlich zeichnete. Eine Aussage hierüber trifft der Organisationsplan von 1936 nicht. Dabei finden sich Archivalien zu den Hotels Baltic und Kaiserhof bis zur Übernahme ihrer ersten Eigentümerin, der Berliner Hotelgesellschaft, durch die Hotelbetriebsgesellschaft 1927 bei der ersteren, für Papiere aus der Zeit danach bei letzterer. In ähnlicher Weise wurde beim Bestand A Rep. 225-02 M. Kempinski & Co. Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH verfahren. Hier lag der Klassifikation ein Organigramm aus der Zeit nach 1937 zugrunde, das eine deutliche Nähe zur Betriebsgliederung der Aschinger’s Aktien-Gesellschaft aufweist. In Anlehnung an diese beiden verwandten Organisationsstrukturen wurde daher auch die Klassifikation für den Bestand A Rep. 225-01 Hotelbetriebs-AG erstellt, von der keine Organisationsstruktur überliefert ist.
C. Umfänge
Den umfassendsten Zeitraum decken die 1377 AE (32,40 lfm) des Bestandes A Rep. 225 Aschinger’s Aktien-Gesellschaft ab. Mit seinen frühesten Papieren, einem Erbpachtvertrag über die Insel Werlsee, reicht er bis ins Jahr 1777 zurück und endet im Jahre 1951. Sein zeitlicher Schwerpunkt liegt dabei in den Jahren 1901 bis 1945.
Demgegenüber erstreckt sich der Bestand A Rep. 225-01 Hotelbetriebs-AG über die Jahre 1908 bis 1939, wobei sich hauptsächlich Unterlagen aus dem Zeitraum von Mitte der zwanziger bis Mitte der dreißiger Jahre finden. Er zählt insgesamt 149 AE (1,35 lfm).
Von vergleichbarem Umfang mit 115 AE (3,30 lfm) ist der Bestand A Rep. 225-02 M. Kempinski & Co. Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH, dessen Unterlagen aus den Jahren von 1899 bis 1949 mit Schwerpunkt späte dreißiger Jahre stammen.
Kleiner sind die Bestände A Rep. 225-03 „Geka“ Geschäfts- und Kontorhaus AG (20 AE / 0,45 lfm) mit dem Zeitraum von 1910 bis 1947 und A Rep. 225-04 J.G. Kranzler Schokoladen- und Konfitüren-Fabrik GmbH (10 AE / 0,15 lfm) aus den Jahren von 1915 bis 1937.
Die Bestand ist wie folgt zu zitieren:
Landesarchiv Berlin, A Rep. 225-02 M. Kempinski & Co. Weinhaus und Handelsgesellschaft mbH, Nr. …
Vereinzelte Unterlagen sind auf Grund archivgesetzlicher Bestimmungen bzw. der EU-Datenschutz-Grundverordnung für die Benutzung befristet gesperrt. Eine Verkürzung der Schutzfristen kann auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs Berlin.
3. Korrespondierende Bestände
LAB A Rep. 005-07 Hauptamt für Kriegssachschäden
LAB A Pr. Br. Rep. 030 Polizeipräsidium Berlin (u.a. Nr. 1259: Auskunfterteilung über Hans Kempinski und Richard Salomon Unger, 1910 - 1917, Nr. 1878: Rauchbelästigung im Kultusministerium durch Schornstein des Hotels Bristol, 1906 - 1915)
LAB A Rep. 093-03 Finanzamt Moabit-West (Nr. 50202: Vermögenseinziehung Unger)
LAB B Rep. 207 Bezirksamt Charlottenburg von Berlin
LAB C Rep. 105 Magistrat von Berlin / Finanzen (u.a. Enteignungakten Aschinger: Nr.1539, Hotelbetriebs-AG: Nr. 4089, F.W. Borchardt GmbH: Nr.1540)
LAB C Rep. 751 VEB Backwaren-Kombinat Berlin
LAB C Rep. 751-01 VEB Nahrungsmittelwerk „Aktivist“
LAB F Rep. 290 Allgemeine Fotosammlung
4. Literatur- und Quellenverzeichnis
Allen, Keith R.: Hungrige Metropole. Essen, Wohlfahrt und Kommerz in Berlin, Hamburg 2002.
Aschenbrenner, Hans: 18. Juni 1949: Bei Aschinger – fast wie früher, in: Berlinische Monatsschrift, hrsg. in der Edition Luisenstadt v. Ernst Goder u.a., H. 6/1999, Berlin 1999, S.82-85.
Bernhagen, Wolfgang / Schlottke, Heinz: Vom Gasthof zum Luxushotel. Ein Streifzug durch die Berliner Hotelgeschichte - Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. v. d. Interhotel DDR Generaldirektion, o. O. o. J. [1988].
Brandenburgia. Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Unter Mitwirkung des Märkischen Provinzial-Museums hrsg. v. Gesellschafts-Vorstande, Berlin
Besichtigung der Aschingerschen Centrale in den Stadtbahnbogen, Straße an der Stadtbahn, IX. Jg. (1900/01), S.65-67;
[Besichtigung des Hotels Fürstenhof], XVI. Jg. (1907/08), S.448-451;
[Besichtigung des Weinhauses M. Kempinski & Co., Leipziger Straße 25], XVIII. Jg. (1909/10), S.147-150;
Besichtigung der Centralbetriebsstelle von Aschinger’s Aktiengesellschaft, XXII. Jg. (1914), S.81-86.
„Haus Rheingold“ in Berlin. Eine Meisterschöpfung von Bruno Schmitz, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst und künstlerische Frauenarbeiten, Darmstadt 1907, S.1-60.
Köster, Baldur: Berliner Gaststätten von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg, Berlin (Diss.) 1964.
Petras, Renate: Das Café Bauer in Berlin, Berlin 1994.
Der Potsdamer Platz. Eine Geschichte in Wort und Bild, mit Beiträgen von Ulrike Plewnia u.a., Berlin 1995.
Pracht, Elfi: M. Kempinski & Co., hrsg. v. d. Historischen Kommission zu Berlin, Berlin 1994.
Berlin, im Oktober 2003 Michael Klein