Ortskrankenkassen in Metz, Reichenberg und Zoppot

Identifier
R 42-II
Language of Description
German
Level of Description
Collection
Languages
  • German
Source
EHRI Partner

Extent and Medium

Schriftgut

66 Aufbewahrungseinheiten

Creator(s)

Biographical History

Geschichte des Bestandsbildners

Die Gründung der allgemeinen Ortskrankenkassen erfolgte durch das „ Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter" (1) vom 15. Juni 1883. Im Zuge der Sozialgesetzgebung führte Reichskanzler Otto von Bismarck die gesetzliche Krankenversicherung ein, um damit auf die steigende Not der Arbeiter im Zuge der Industrialisierung zu reagieren und zugleich den Unmut bezüglich der Sozialistengesetze zu mindern. Ziel war es, eine dauerhafte Organisation bzw. Institution zu schaffen, die den Arbeitern im Krankheitsfall Hilfe und Unterstützung bot. So regelte das Gesetz den Rechtsanspruch eines Versicherten auf Sachleistungen wie beispielsweise eine freie ärztliche Behandlung, Arzneimittel oder auch verschiedene Geldleistungen wie Krankengeld oder Sterbegeld. Je nach Satzung der Krankenkasse konnten auch Mehrleistungen angeboten werden und der Versicherungsschutz auch den Familienangehörigen zugute kommen.

Anfangs gab es im Deutschen Reich 8.200 Allgemeine Ortskrankenkassen (2). Sie fungierten als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und folgten dem Prinzip der Selbstorganisation, d.h. die Krankenkassen führten die vom Staat übertragenen Aufgaben finanziell und organisatorisch selbstständig aus. Ab 1892 konnten neben Arbeitern auch Angestellte und Heimarbeiter Mitglied einer Allgemeinen Ortskrankenkasse werden. Organisatorisch gehörten jeweils ganze Gemeinden, bzw. mehrere kleine Gemeinden oder ein Kreis zu einer AOK. Im Jahre 1911 erfolgte eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen zur Kranken-, Renten- und Unfallversicherung, die in der Reichsversicherungsordnung (3) zusammengeführt wurden. Dieses Gesetz stellte bis in die 1980er Jahre die wesentliche Grundlage des deutschen Sozialstaats dar. Während des Nationalsozialismus wurde die Selbstverwaltung der Krankenkassen aufgegeben und die Träger bekamen staatlich anerkannte Leiter zur Seite gestellt. 1952 führte die Bundesregierung die Selbstverwaltung der Krankenkassen wieder ein.

Rechtlich gesehen bildeten die allgemeinen Ortskrankenkassen Körperschaften des öffentlichen Rechts und waren die wichtigsten Träger der gesetzlichen Sozial- und Krankenversicherung für die Arbeitnehmer. Jede einzelne Kasse erließ ihre eigene Satzung, die nach den jeweils ortsüblichen Verhältnissen ausgestaltet wurde und vom Reichsversicherungsamt genehmigt werden musste.

Die Allgemeine Ortskrankenkasse Zoppot vertrat die Stadt und den Kreis Zoppot. Gemäß des Geschäftsverteilungsplans der Krankenasse stand zu dieser Zeit Emil Abel (geb. 4.2.1886) an deren Spitze und Alfred Raschke (geb. 9.10.1900) fungierte als dessen Stellvertreter. Zu diesem Zeitpunkt sind im Geschäftsverteilungsplan 7.642 Mitglieder bei der AOK Zoppot ausgewiesen (4).

Die Geschäftsstelle der AOK befand sich in der Großen Unterführung 1 in Zoppot (5).

Zwischen 1871 und 1920 war Zoppot Teil des Deutschen Reichs und lag in der Provinz Westpreußen. Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags wurden Danzig und einige umliegende Gemeinden am 15. November 1920 vom Deutschen Reich abgetrennt und die Freie Stadt Danzig gegründet (6). Dieses Gebiet war ein teilsouveräner, selbstständiger Staat und unterstand dem Völkerbund. Erst durch die völkerrechtswidrige Annexion der Freien Stadt Danzig durch die Nationalsozialisten am 1. September 1939 änderte sich die Situation. Die Freie Stadt Danzig und damit auch Zoppot wurden wieder in das Deutsche Reich eingegliedert. Im Zuge der Annexion erhielten die Bestimmungen bezüglich der Allgemeinen Ortskrankenkassen, wie sie im Deutschen Reich Gültigkeit besaßen, auch Anwendung auf die AOKen im neu geschaffenen Reichsgau Danzig-Westpreußen. Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 stellte Zoppot schließlich unter polnische Verwaltung.

Die Allgemeine Arbeiter-, Kranken- und Unterstützungskasse in Reichenberg (Nordböhmen) wurde am 19. Juni 1870 als Selbsthilfeorganisation der Arbeiter Nordböhmens gegründet. Diese Vereinigung trug den Charakter eines Vereins und organisierte sich auf Delegiertentagen (7). Am 30. März 1888 erfolgte schließlich durch das Krankenkassengesetz, das die Kranken- und Unfallversicherung in Österreich-Ungarn einführte, eine wesentliche Änderung in der rechtlichen Grundlage der Kasse (8). Arbeitete sie zuvor als einfacher Verein, wandelte sie sich durch eine Umgestaltung der Statuten zu einer gesetzlichen Krankenkasse. Das Krankenkassengesetz in Österreich-Ungarn orientierte sich in wesentlichen Zügen an der zuvor erfolgten Sozialgesetzgebung Bismarcks für das Deutsche Reich. Auch auf die Mitgliederzahlen wirkte sich das Krankenkassengesetz erheblich aus: Gab es bei der Gründung der Kasse 1870 noch 203 Mitglieder, stieg die Zahl schon zwei Jahre später auf 4.021 Personen an. 1909 zählte die Kasse 47.578 Versicherte (9).

Reichenberg gehörte seit 1867 zum Gebiet der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und war die zweitgrößte Stadt Böhmens. Mit dem Versailler Vertrag 1919 und der Gründung der Tschechoslowakei löste sich die Allgemeine Arbeiter-, Kranken- und Unterstützungskasse in Reichenberg auf. Von 1895 bis 1909 stand Filip Bienert als Direktor der Allgemeinen Arbeiter-, Kranken- und Unterstützungskasse in Reichenberg vor. Als Nachfolger wurde der Sozialdemokrat Anton Schäfer (10) gewählt, der auch nach 1919 in der Krankenkasse in Liberec tätig war - bis zur Besetzung Böhmens durch die Wehrmacht am 30. September 1938. Franz Sponer und Wenzel Runge waren Schäfers Stellvertreter. Das Vereinshaus und die Geschäftsräumlichkeiten der Kasse befanden sich in der Johannesgasse 8.

Die Allgemeine Ortskrankenkasse Metz stellte die für die Stadt Metz zuständige Krankenkasse dar und war der Dienststelle „Krankenkassen Lothringen" unterstellt. Peter Nannenhorn ist in den Akten als Direktor der AOK vermerkt (11).

Die Stadt Metz gehörte von 1871 bis 1918 zum Deutschen Reich und war der Verwaltungssitz des Bezirks Lothringen innerhalb des Reichslandes Elsass-Lothringen. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrags fiel Elsass-Lothringen 1919 wieder an Frankreich. Im Jahre 1940 besetzten deutsche Truppen die Stadt Metz und sie unterstand nun dem Chef der Zivilverwaltung für Lothringen. Im November 1944 nahmen amerikanische Truppen Metz ein. Die Dienststelle „Krankenkassen Lothringen" stellte auf Anordnung der Militärregierung ihre Arbeit schließlich ein.

(1) RGBl. 1883, Nr. 9, S. 73 -104.

(2) Schwenger, Rudolf. Die deutschen Betriebskrankenkassen. München, Leipzig 1934. S.38.

(3) RGBl. 1911, Nr. 42, S. 509-860.

(4) BArch R 42 II/18. Die Namen und Geburtsdaten der genannten Personen ergeben sich aus dem Geschäftsverteilungsplan vom 18.1.1943. Liste 2 - Männliche Geschäftsmitglieder. Die Mitgliederzahl findet sich auf Liste 1.

(5) BArch R 42 II/4. Die Adresse ergibt sich aus dem „Verzeichnis sämtlicher Orts-, Kreis und Bezirkskrankenkassen im Bereich der Landesgeschäftsstelle Ostpreußen des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen nach dem Stande vom 1.12.1941".

(6) Zur Freien Stadt Danzig gehörten die Städte Danzig, Zoppot, Praust, Tiegenhof und Neuteich und die damit verbundenen Gebiete.

(7) BArch R 42 II/43. Zur Geschichte der AOK Reichenberg siehe die Jubiläumsschrift „40 Jahre Allgemeine Arbeiter- Kranken und Unterstützungs-Kasse in Reichenberg" von 1909.

(8) RGBl. (Österreich) 1888, Nr. 33, S. 57-73.

(9) BArch R 42 II/43. Die Mitgliederzahlen finden sich in: „Statistische Auswertungen über die Geschäftsgebarung während des vierzigjährigen Bestandes der Allgemeinen Arbeiter- Kranken und Unterstützungskasse in Reichenberg von 1870-1909".

(10) Anton Schäfer (12.8.1868-24.11.1945). Österreichischer und tschechischer Politiker, Gewerkschafter und Sozialdemokrat.

(11) BArch R 42 II/59, S. XI 1/6. Nannenhorn ist als Leiter der AOK Metz in einem Brief von Max Oesterlein vom 6.12.1943 eindeutig benannt.

Scope and Content

Geschichte des Bestandsbildners

Die Akten der AOK Zoppot gelangten 1945 mit anderen Unterlagen nach Flensburg und wurden der dortigen Stadtverwaltung zur Aufbewahrung übergeben. 1947 wurden diese Dokumente durch einen Erlass des Finanzministers des Landes Schleswig-Holstein an das dortige Landesarchiv übergeben. Vom Landesarchiv aus kamen die Unterlagen schließlich am 14. September 1953 zum Bundesarchiv.

Ein großer Teil der älteren Überlieferung (vor 1939) der Allgemeinen Ortskrankenkasse Zoppot liegt im Staatsarchiv Danzig (Archiwum Pañstwowe w Gdañsku Oddzia³ w Gdyni). 41,54 lfd Akten sind hier verzeichnet mit einer Laufzeit von 1862-1945 (1969). Der Bestand gliedert sich in: I. Verwaltung, II. Hoch bau, III. Tiefbau, IV. Baupolizei, V. Vermessungswesen, VI. Friedhof.

Die Kassenunterlagen der AOK Metz sind im August 1945 nach Lothringen zurückgebracht worden.

Bestandsbeschreibung

Der Bestand der AOK Zoppot gibt einen Einblick in die allgemeine Geschäftspraxis der Kasse. Die Laufzeit der Akten erstreckt sich von 1922 bis 1944, wobei ein Großteil der Unterlagen in der Zeit nach 1939 entstanden ist. Diese Akten enthalten u.a. Gesetze, Erlasse, Verordnungen und Rundschreiben. Zudem ist die Korrespondenz mit zum Teil zentralen Behörden oder Dienststellen, wie dem Oberversicherungsamt, vorhanden. Auch die Beziehungen zu NS-Organisationen wie der Schriftwechsel mit der „Deutschen Arbeitsfront" (12), Verordnungen über die Betriebskrankenkasse (z.B. Anschriftenverzeichnis der Betriebskrankenkassen des Reichs), Neufassung von Satzungen (Mustersatzungen) und Satzungsänderungen im Reichsgau Danzig-Westpreußen finden sich in den Unterlagen.

Nach der Rückgliederung der Freien Stadt Danzig in das Deutsche Reich am 1. September 1939 dokumentiert das Schriftgut vor allem mit der Neuorganisation der Krankenkassen und dem Sozialversicherungswesen. Zudem erlauben die Akten Einblick in die Umgestaltung des Sozial- und Dienstrechts im Reichsgau Danzig-Westpreußen nach der deutschen Besetzung der Freien Stadt Danzig. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Anwendung des Sozial- und Krankenkassenwesens auf ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene in Deutschland sowie auf Reichsdeutsche im Ausland und in den besetzten Gebieten.

Insgesamt vermittelt der Akteninhalt einen Überblick über das Sozial- und Krankenversicherungswesen, sowie die Organisation, die Geschäftsführung und das Dienstrecht der AOK Zoppot.

Die Überlieferung der Allgemeinen Arbeiter-, Kranken- und Unterstützungskasse in Reichenberg umfasst lediglich zwei Bände mit einer Laufzeit von 1909 bis 1919. Hierin enthalten sind vor allem Unterlagen der allgemeinen Geschäftstätigkeit der Kasse, wie die Organisation der Kasse, die Wahl des Vorstands, Protokolle der Sitzungen und Jahresberichte. So lässt sich anhand der Akten beispielsweise die Zusammensetzung des Vorstandes rekonstruieren. Die Jubiläumsschrift zum 40-jährigen Bestehen der Allgemeinen Arbeiter-Kranken- und Unterstützungskasse in Reichenberg gibt zudem Aufschluss über ihre Geschichte.

Die Überlieferung zur AOK Metz umfasst lediglich acht Personalakten mit einer Laufzeit von 1940 bis 1946.

(12) Siehe hierzu die Akten der „Deutschen Arbeitsfront" im Bundesarchiv Bestand NS 5.

Zitierweise

BArch R 42-II/...

Related Units of Description

  • Verwandtes Archivgut im Bundesarchiv

  • R 89Reichsversicherungsamt

  • R 152Reichsausführungsbehörde für Unfallversicherung

  • R 156 Reichsknappschaft

  • R 3901Reichsarbeitsministerium

  • B 225Verband Deutscher Rentenversicherungsträger

  • http://www.archivesportaleurope.net

  • Literatur

  • Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, II. Abteilung: Von der kaiserlichen Sozialbotschaft bis zu den Februarerlassen Wilhelms II. (1881-1890), 5. Band: Die gesetzliche Krankenversicherung und die eingeschriebenen Hilfskassen, bearbeitet von Andreas Hänlein, Florian Tennstedt und Heidi Winter, Darmstadt 2009.

  • Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, III. Abteilung: Ausbau und Differenzierung der Sozialpolitik seit Beginn des Neuen Kurses (1890-1904), 5. Band, Die gesetzliche Krankenversicherung, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Florian Tennstedt und Heidi Winter, Darmstadt 2012.

  • Schwenger, Rudolf: Die deutschen Betriebskrankenkassen, München, Leipzig 1934.

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