Kriminalbiologisches Institut des Reichsgesundheitsamtes

Identifier
R 160
Language of Description
German
Dates
1 Jan 1940 - 31 Dec 1943
Level of Description
Collection
Languages
  • German
Source
EHRI Partner

Extent and Medium

Schriftgut

69 Aufbewahrungseinheiten

Creator(s)

Biographical History

Geschichte des Bestandsbildners

Die Kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes (RGA) (1) wurde im Jahr 1937 unter der Leitung von Prof. Dr. Ferdinand von Neureiter (2) gegründet. Entscheidende Aufgabe war die Einführung eines kriminalbiologischen Dienstes im Deutschen Reich (3).

Ab 1941 übernahm Dr. Robert Ritter (4) nach der Berufung von Neureiters an die neugegründete Reichsuniversität in Straßburg diese Stelle. Ritter betrieb bereits zuvor rassenhygienische „Zigeunerforschung" (5) und leitete auch die hierfür zuständige „Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle" (6), ebenfalls eine Unterabteilung im RGA (7). Das pseudowissenschaftliche Forschungsgebiet der „Zigeunerforschung" wurde in den Untersuchungen der Kriminalbiologischen Forschungsstelle auf „Asoziale und Verbrecher" sowie deren Nachkommen ausgedehnt. Die Konzentration auf die Kriminalpsychologie und die Begutachtung auffälliger Jugendlicher wurden zu Schwerpunkten der Ritterschen Tätigkeit.

Hintergrund dieser Untersuchungen war die Annahme, dass die Neigung zum Verbrechen vererbbar sei und sich beim Nachwuchs weiter verschlimmern würde (8). Bereits in seiner Publikation „Ein Menschenschlag" (9) von 1937 befasste sich Ritter mit den Thesen vom „geborenen Verbrecher". Die Untersuchung von Straffälligen auf erbliche Anlagen als „Verbrecher" entwickelte sich zum Kernpunkt der Kriminalbiologie unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie. Mittels der „kriminalbiologischen Erhebungen" verfolgte das Institut die Absicht, Entwicklungsvorhersagen über Straffällige zu treffen. Somit wurden nicht nur die Straffälligen selbst kriminalbiologischen Untersuchungen unterzogen, sondern ebenso deren gesamte Familien, vom Ehepartner über die Kinder bis hin zu den Eltern und Großeltern, wie auch die entferntere Verwandtschaft. Ritter sah die Entwicklung eines Verfahrens, mit dem ein Verbrecher bereits vor Begehen einer Straftat als solcher identifiziert werden konnte, als primäres Ziel an. Straffällige müssten hierfür zunächst in Kategorien („einmalig entgleiste Menschen", Kranke und geborene Verbrecher) eingeteilt werden. Die Einzelheiten zur Erhebung und Einteilung der Straffälligen in die vorgenannten Kategorien ließ Ritter hierbei offen (10). Die Untersuchungen sollten als eine Maßnahme zum Schutz des „Volkskörpers" dienen (11).

Abgesehen von Robert Ritters leitender Funktion sind Struktur, Organisation und Personal des Institutes im Einzelnen nicht bekannt. Mindestens seit 1942 firmierte diese Institution als Kriminalbiologisches Institut, zuvor als kriminalbiologische Forschungsstelle des RGA(12). Aus der Korrespondenz, welche von der „Volkspflegerin" Anne Pillmann mit dem Institut in Berlin-Dahlem geführt wurde, ist ersichtlich, dass eine Frau Betz (13) und ein Herr Dr. Scheinfuß am Institut tätig waren (14), ebenso wie Eva Justin, die darüber hinaus als engste Mitarbeiterin Ritters in der Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle des RGA bekannt ist (15).

Am 21. Dezember 1941 übernahm Robert Ritter ehrenamtlich als wissenschaftlicher Leiter das Kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei (16). Schließlich erfolgte 1943 seine Ernennung zum Direktor beim Reichsgesundheitsamt.

(1) BArch Sg. Orgunterlagen, R 86. Geschäftsverteilungsplan des Reichsgesundheitsamtes vom 20. Dez. 1937. Abteilung L: Erb- und Rassenpflege. Unterabteilung: Kriminalbiologische Forschungsstelle L 3. Zur Aufgabenstellung siehe auch BArch R 1501/ 5583. S. 207

(2) Prof. Dr. Ferdinand von Neureiter (1893 - 1946). Mediziner, Gerichtsmediziner, Professor in Riga, Berlin und Straßburg

(3) Hans Reiter. Das Reichsgesundheitsamt 1933 - 1939. Sechs Jahre nationalsozialistische Führung. Berlin 1939. S. 355 ff.

(4) Dr. Robert Ritter (1901-1951) siehe Biographie: Schmidt-Degenhard, Tobias. Vermessen und Vernichten. Der NS-„Zigeunerforscher" Robert Ritter. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Hrsg. von Baten, Frie, Holzem u. a. Bd. 76. Stuttgart 2012

(5) Die Akten hierzu verwahrt das BArch unter der Bestandsnummer R 165 Rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes.

(6) Die Bezeichnung änderte sich einige Male oder wurde oftmals unkorrekt wiedergegeben. vergl. Anm. 3 Reiter. S. 299. Im Organigramm der Behörde heißt es: Rassen- und bevölkerungskundliche Forschungsstelle. S. 300: wiederum Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle

(7) Siehe Anm. 1. Zur Aufgabenstellung auch BArch R 1501/ 5583. S. 209

(8) Robert Ritter. Die Aufgaben der Kriminalbiologie und der kriminalbiologischen Bevölkerungsforschung. In: Kriminalistik. Monatshefte für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis. Berlin. 15. Jg. 1941. Heft 4. S. 38 - 41. S. 39

(9) Robert Ritter. Ein Menschenschlag. Erbärztliche und erbgeschichtliche Untersuchungen über die durch 10 Geschlechterfolgen erforschten Nachkommen von Vagabunden, Jaunern und Räubern. Mit 3 teilweise farbigen Erbtafeln. Leipzig. 1937

(10) Siehe Anm. 8. S. 38

(11) Jürgen Simon. Kriminalbiologie - theoretische Konzepte und praktische Durchführung eines Ansatzes zur Erfassung von Kriminalität. In: Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen. Bd. 6. Kriminalbiologie. Hrsg. vom Justizministerium des Landes NRW 1997. S. 69 - 105 S. 91

(12) BArch R 160/69 S. 48. Briefkopf mit der Bezeichnung „Kriminalbiologisches Institut des Reichsgesundheitsamtes"

(14) BArch R 160/69

(15) Joachim S. Hohmann. Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie. „Zigeunerforschung" im Nationalsozialismus und in Westdeutschland im Zeichen des Rassismus. In: Studien zur Tsiganologie und Folkloristik. Bd. 4. Frankfurt a. M. 1991. Hohmann setzt sich in seiner Monographie ab S. 238 intensiv mit der Rolle der Eva Justin in der Rassenhygienischen Forschungsstelle des RGA auseinander.

(16) BArch NS 2/69 S. 1a. Vorschlag des Reichssicherheitshauptamtes an das Rasse- und Siedlungshauptamt am 15. Juni 1941

Scope and Content

Geschichte des Bestandsbildners

Ende 1943 zog das Reichsgesundheitsamt nach der Zerstörung seines Dienstgebäudes in der Thielallee aus Berlin in einem nicht genau zu bezeichnenden Umfang u. a. in das Dorf Drögen bei Fürstenberg/ Havel (22). Ritter berichtete nach dem Krieg, „...als im Sommer 1943 die Gefahr drohte, dass in Berlin unsere ganze Forschungsarbeit durch Sprengbomben oder Brand der Vernichtung anheim fiel, verlegte ich die jugendärztliche und kriminalbiologische Forschungsstelle und damit auch das gesamte während des Zeitraumes von 1932 bis 1943 in Schwaben gesammelte wissenschaftliche Material nach Württemberg zurück und brachte es in der Heilanstalt Mariaberg unter (23)." Dort hielt er mit einigen wenigen Mitarbeitern, darunter auch Eva Justin, bis Mitte 1946 aus. Die Unterlagen blieben nach dem Krieg zum großen Teil in den Händen der ehemaligen Mitarbeiter des Instituts und müssen als verschollen gelten. Professor Dr. Hermann Arnold (24) wurde zum Nachlassverwalter der Ritterschen Tätigkeit. 1980 übergab er die wenigen verbliebenen Akten dem Bundesarchiv. Die Akte R 160/69 gelangte 1986 als weitere Abgabe von Arnold in das Bundesarchiv.

(22) BArch R 2301/6778. S. 161. Der Präsident des Reichsgesundheitsamtes an den Rechnungshof des Deutschen Reichs am 4. Mai 1944. „...Die Rechnung für 1942 konnte nur zum Teil geprüft werden, da bei dem Luftangriff auf das Reichsgesundheitsamt am 22. November 1943 sowohl die Rechnungsnachweisung als auch sämtliche Belege hierzu vernichtet worden sind."

(23) Aus der Nachkriegsbewerbung Ritters vom 3.11.1945. Max-Planck-Institut für Psychiatrie München, Historisches Archiv Gp 3.6 Der Fall Robert Ritter. Aus: Schmidt-Degenhard. Ebd. S. 170. siehe Anmerkung Nr. 571

(24) BArch ZSg 142 und ZSg 142 Anh.

Bestandsbeschreibung

Sachakten des Kriminalbiologischen Instituts im RGA sind nicht überliefert. Die vorliegenden Akten bieten allerdings ein exemplarisches Beispiel für die Aufgabenstellung, die Durchführung der kriminalbiologischen Untersuchungen und die inhaltliche Ausrichtung dieses Instituts. Die zeitliche Überlieferung des Bestandes beschränkt sich zum größten Teil auf das Jahr 1942. Ausnahmen bilden hier die Akten R 160/5 mit einer Laufzeit von 1940 - 1943 sowie die Akte R 160/69, welche die Korrespondenz der „Volkspflegerin" Anne Pillmann mit dem Kriminalbiologischen Institut des RGA in den Jahren 1942 - 1943 enthält (17). Der Bestand beinhaltet insgesamt 69 Akten. 65 personenbezogene Akten dokumentieren das Material der „kriminalbiologischen Erhebungen".

Wie aus dem Schriftverkehr mit Robert Ritter hervorgeht, war Pillmann im Jahr 1942 für einen begrenzten Zeitraum von etwa sechs Monaten mit kriminal-biologischen Erhebungen im Rheinland und in Württemberg beauftragt (18). Ausgangspunkt der Untersuchungen war das Zuchthaus in Rheinbach. Dieses diente seit dem 1. April 1914 als Ersatz für das veraltete Zuchthaus auf dem Michaelsberg in Siegburg (19). Dem Schriftverkehr nach wurden bereits im Jahr 1912 kriminalbiologische Untersuchungen durch den damaligen Direktor der Strafanstalt, Herrn Dr. Rath, unternommen (20). Rath hatte seinerzeit eine Dissertation zu jenen Forschungen verfasst. Durch die Nachforschungen von Anne Pillmann sollten nun die Nachkommen der Probanden des Dr. Rath mit dem Ziel untersucht werden, einen Nachweis über die Erblichkeit verbrecherischer Veranlagungen zu erbringen (21).

Die Akte R 160/67 beinhaltet 30 Karteikarten zu ehemaligen Probanden des Dr. Rath. Sie informieren über die gestellten Diagnosen zu seinen Patienten. Außerdem umfassen die Akten Schriftverkehr von Anne Pillmann mit örtlichen Dienststellen wie Einwohnermeldeämtern und Ortspolizeibehörden, die dem Kriminalbiologischen Institut des RGA Informationen über die potenziellen Probanden zukommen ließen.

Die Akten R 160/66-68 enthalten ebenso personenbezogenes Archivgut, umfassen jedoch im Gegensatz zu den anderen Akten jeweils einen größeren Personenkreis, ohne das hierbei ein besonderes Kriterium ersichtlich ist, welches zu dieser veränderten Ordnung führte.

(17) BArch R 160/5 und BArch R 160/69

(18) BArch R 160/69 Bl. 170

(19) www.jva-rheinbach.nrw.de

(20) BArch R 160/69 Bl. 9, Bl. 59

Weitere Angaben zur Identität des Dr. Rath sind aus den Akten des Bestandes nicht ersichtlich.

(21) BArch R 160/69 Bl. 3

Erschliessungszustand

Findbuch 2012

Zitierweise

BArch R 160/...

Related Units of Description

  • Verwandtes Archivgut im Bundesarchiv

  • Zu verweisen ist auf weitere relevante Überlieferungen innerhalb und außerhalb des Bundesarchivs in Auswahl wie folgt:

  • R 86Reichsgesundheitsamt

  • R 165Rassenhygienische und kriminalbiologische

  • Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes

  • R 1501Reichsministerium des Innern

  • ZSg 142 Sammlung Arnold

  • ZSg 142 Anh.Sammlung Arnold Anhang

  • Dienstakte 2420/ 21

  • Literatur

  • Ute Brucker-Boroujerdi/ Wolfgang Wippermann. Die „Rassenhygienische und Erbbiologische Forschungsstelle" im Reichsgesundheitsamt. In: Bundesgesund-heitsblatt. Hrsg. vom Bundesgesundheitsamt, Sonderheft zur Ausstellung „Das Reichsgesundheitsamt 1933 - 1945 - eine Ausstellung". Köln (u. a.) 1989. S. 13 - 19.

  • Joachim S. Hohmann. Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie. „Zigeuner-forschung" im Nationalsozialismus und in Westdeutschland im Zeichen des Rassismus. In: Studien zur Tsiganologie und Folkloristik. Bd. 4. Frankfurt a. M. 1991.

  • Hans Reiter. Das Reichsgesundheitsamt 1933-1939. Sechs Jahre nationalsozialistische Führung. Berlin 1939.

  • Robert Ritter. Die Aufgaben der Kriminalbiologie und der kriminalbiologischen Bevölkerungsforschung. In: Kriminalistik. Monatshefte für die gesamte krimi-nalistische Wissenschaft und Praxis. Berlin. 15. Jg. 1941. Heft 4. S. 38 - 41.

  • Tobias Schmidt-Degenhard. Vermessen und Vernichten. Der NS- „Zigeunerforscher" Robert Ritter. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Hrsg. Baten, Frie, Holzem u. a. Bd. 76. Stuttgart 2012.

  • Jürgen Simon. Kriminalbiologie - theoretische Konzepte und praktische Durch-führung eines Ansatzes zur Erfassung von Kriminalität. In: Juristische Zeit-geschichte Nordrhein-Westfalen. Bd. 6. Kriminalbiologie. Hrsg. vom Justiz-ministerium des Landes NRW 1997. S. 69 - 105.

  • Helmut Theisel/ Helmut Eiden-Jaegers. Zentrale Einrichtungen des Gesundheitswesens. 1968 - Einhundert Jahre für die Gesundheit. Ämter und Organisationen der Bundesrepublik Deutschland, Band 15. Frankfurt/Main [u.a.]. 1968.

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